Dienstag, 28. November 2017

Tinder vor dem Weinregal

Rotwein, meine große Liebe.
Rotwein ist wie die Kapuze, die ich mir manchmal über den Kopf ziehe, wenn mir kalt an den Ohren ist. Wie eine Rose, die schon fast verwelkt ist. Wie die flüssige Schokolade in einem Soufflé. Wie ein "ich hab dich vermisst" von einem guten Freund. Wie eine leicht bittere Erinnerung.

So sollte auch die Liebe sein. Einlullend, wärmend, verbunden mit einem leichten Ziehen in der Magengegend und einem kuscheligen Gefühl auf der Zunge und in den Wangen. Schön, und vielleicht auch ein bisschen vergänglich. Sie sollte ein bisschen süchtig machen, wie alles Schöne. Ein bisschen Sehnsucht sollte mitschwingen, ein paar große Träume und unausgesprochene Ängste, die wie der Weinrest nach dem letzten Schluck am Glas hängen bleiben.

Wie bei der Liebe kommt es beim Rotwein auf die Auswahl an, glaube ich. Auf deine Investition. Aber egal wie viel du für den Wein bezahlst, am Ende ist die Flasche leer. Und der Zweck ist erfüllt. Oder nicht? Sich ein bisschen warm, eingelullt zu fühlen? Manchmal stehe ich vor dem Weinregal wie vor Tinder. Entscheide nach dem Etikett, der Beschreibung vielleicht. Trocken, vollmundig, passt zu Fleischgerichten. Worauf habe ich heute Lust?

Manchmal investiere ich ein bisschen mehr, versuche mich an vergangene (schlechte) Erfahrungen zu erinnern - mochte ich den Merlot? Oder war es der Rioja von der Aldi-Biomarke, der den bitteren Nachgeschmack hatte? Meistens weiß ich es nicht mehr und verlasse mich auf mein Urteilsvermögen und die Marketingkünste der Etikettendesigner. Manchmal zahle ich fast 5 Euro für eine Flasche und bin am Ende enttäuscht, wenn er nicht schmeckt. Manchmal mache ich mir große Hoffnungen vor dem ersten Date - und bin am Ende enttäuscht, wenn er nicht schmeckt.

Und dann finde ich den perfekten Rotwein. Vielleicht hatte er ein schönes Etikett, vielleicht klang der Name vielversprechend, vielleicht hat mein Unterbewusstsein für mich entschieden, vielleicht habe ich nur aus Versehen nach rechts gewischt. Egal wie, ich fühle mich warm, ein wenig (sehn)süchtig, kann fast die flüssige Schokolade schmecken, kann die großen Träume am Glasrand kleben sehen.

In der Liebe ist nicht einfach nach 0,7 Litern die Flasche leer, man sieht es zumindest nicht kommen. Noch schlimmer, wenn sie es ist, kannst du nicht einfach die gleiche Flasche nochmal kaufen. Und selbst wenn, wer weiß, ob sie dir dann noch schmeckt?